97_ENDE

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Ort: Süddeutschland - Nordschwarzwald Zeit: ENDE 1997er Jahre

Die Raststätte

... irgendwo im Wald an der B42

Oktober 1997, Nordschwarzwald

Irgendwann im Oktober 1997 saß ich auf dem Geländer einer hohen Brücke über der B42 und spielte mit dem apathischen Gedanken, wie es wäre, einfach mal so herunterzuspringen. Ich hatte nicht wirklich den Wunsch, Selbstmord zu begehen, es war eher so ein wirres Gedankenspiel, geboren aus den Konsequenzen einer bleiernen Langeweile, die sich seit einiger Zeit in mein eintöniges Leben geschlichen hatte.

Während ich also so dasaß und darüber grübelte, überkam mich ein ziemlich deutliches Hungergefühl. Dann dachte ich, wenn mich bereits so ein Hungergefühl dermaßen fertig machen konnte, dann wäre der Aufprall unten auf dem Beton der Bundesstraße ein bisschen zu viel für mich.

Daher entschied ich, diese Sache mit dem Springen entweder zu vertagen oder ganz sein zu lassen … „Besser, ich schnappe mir mein Fahrrad und radle in die nahegelegene Raststätte, um mir dort das 5-Mark-Frühstück zu gönnen!“, dachte ich.

Ja, mein Leben war vielleicht öde, aber es war mein Leben. Und wie bei jeder dieser Geschichten war ich der entscheidende Faktor, weshalb es öde aussah. Aber was sollte ich tun? Ich war nun mal so, wie ich war. Es war mir unmöglich, mich gegen einen anderen auszutauschen! Und natürlich konnte ich mir Besseres vorstellen, aber leben und vorstellen sind bekanntlich zwei völlig unterschiedliche Paar Stiefel.

Mit einem Seufzer kletterte ich vom Geländer der Brücke, stieg auf mein Fahrrad und trat in die Pedale. Es war Oktober, frische 5 Grad über Null. Ich hatte keine Handschuhe, daher schmerzten meine Hände der Kälte wegen bereits nach wenigen Minuten. Die Raststätte lag etwa drei Kilometer von der Brücke entfernt, inmitten eines kleinen Eichenwäldchens. Ich fuhr über den Feldweg, bis das Wäldchen erst in Sicht kam, dann näher rückte. Die Starkstrommasten auf dem Feld ragten wie überdimensionierte Roboter, deren Akku leer gelaufen war, und streckten ihre Kabelarme gen Wolkendecke. Eine Schar Saatkrähen pickte auf dem Acker in der Erde nach etwas Fressbarem herum. Ich zog den Reißverschluss meines Parkas nach oben.

Irgendwann bog ich mit meinem Rad auf den kleinen Parkplatz der Raststätte ab. Die nahe gelegene Bundesstraße war um diese Zeit wenig befahren. Es war noch früh an diesem Samstag. Und ohnehin verirrten sich nicht viele Leute in diese ländliche Gegend.

Dennoch hatte die Raststätte jeden Tag geöffnet, und zwar von 8 Uhr bis 22 Uhr. Für gewöhnlich saßen immer einige wenige Leute an den Tischen oder an der Theke, in der Regel ein LKW-Fahrer, der Pause machte. Aber jeder, der hier lebte, kannte die Raststätte. Sie war für uns ein beliebter Treffpunkt. Wenn man nicht wusste, wohin, dann ging man in diese Raststätte.

Fast alle nannten sie einfach nur die Raststätte.